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Social Science Software: Standing on the shoulder of bytes?

Social Science Software (SoSciSo) beschäftigt sich, wie wir ja bekanntlich ständig und überall in die Welt posaunen, mit dem Softwareeinsatz im sozialwissenschaftlichen Forschungsprozess. In jeder Phase dieses Prozesses können unterschiedliche Softwarewerkzeuge bei der ein oder anderen Aufgabe behilflich sein. Und diese Hilfswerkzeuge gilt es von uns und für Euch zu sammeln und vorzustellen (Ja ja, der Beitrag wieso Microsoft Visio vielleicht das überschätzteste beste und beliebteste Visualisierungstool überhaupt ist, kommt auch noch irgendwann). In letzter Zeit allerdings haben wir an diversen Stellen feststellen dürfen, das in genau diesem Zusatz zu Werkzeuge der Teufel im Detail liegt (sofern man das nicht so sagt, bitte kurz der Redaktion dem Praktikanten Bescheid geben). Wir sagen Hilfswerkzeug, oder aber manchmal nur Werkzeug, weil wir meinen, es damit schon auf den Punkt gebracht zu haben. So sind wir bei einer Diskussion zu Software für qualitative Datenanalyse (CAQDAS) auf researchgate.net auf mehrere Kommentare dieser Art gestoßen:

„Just to say that no software package will give you any analysis in qualitative research. You have to do the analysis, a software programme like Atlas.ti or Nvivo simply helps you organise and store data in one place and provides you with the facility to code large amounts of data sets in an efficient way. However, you still have to develop codes, theoretical links and concepts yourself. As to which programme that depends largely on your personal preference and the the kind of data you have ie text/ video/ visual etc.“  (Veronika Williams auf researchgate.net)

Jo Reichertz wiederum spricht auf dem Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie von Potjomkinschen Dörfern und meint damit die anscheinend vielen scheinbaren Resultate in der Soziologie aufgrund des unreflektierten Softwareeinsatzes zur qualitativen Datenauswertung:

„Deshalb erinnert mich das, was die Soziologie heute oft (aufgrund der softwaregestützten Auswertung von fokussierten, themenzentrierten u.ä. Interviews) zu sehen bekommt, an die Dörfer, die Feldmarschall Potjomkin im Jahr 1787 vor dem Besuch der Zarin Katharina II im neu eroberten Krimgebiet entlang ihrer Wegstrecke in aller Eile errichten ließ.“ (Jo Reichertz auf soziologie.de/blog )

Einerseits gebetsmühlenartige Hinweise, dass Software lediglich beim Organisieren, Ablegen und Darstellen hilft und nicht die komplette Analyse automatisch ausspuckt. Andererseits ein Qualitätsverlust, welcher vermutlich aus dem unreflektierten Gebrauch von Software resultiert. Und nun? Offensichtlich können wir mittlerweile selbst für Teile der qualitativen Forschung etwas feststellen, was uns schon lange in anderen Bereichen auffällt. Software ist nicht mehr nur das Hilfswerkzeug. Informatik ist nicht mehr nur eine Wissenschaft, die dazu da ist, anderen Bereichen zu helfen, indem sie das Sammeln, Aufbereiten, Prozessieren, Visualisieren, Speichern und, was man sonst noch alles mit Daten anstellen kann, erleichtert. Software hat sich längst von ihrer Passivität gelöst und nimmt nun aktiv Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Welt. Die Frage ist nun, wollen wir das?

Software macht vieles scheinbar einfacher. Sie erzeugt die Illusion, dass sie uns das denken abnehmen könnte, zum Teil zumindest. Dies geschieht auch wie oben erwähnt in der qualitativen Datenanalyse. Was früher in mühevoller Fleißarbeit geschah, das Entwickeln von Schlagwörtern, der Aufbau eines Kategoriebaumes, das Aufstellen und Verbinden von Konzepten geschieht heute alles per Mausklick und sollte uns unglaublich viel Zeit einsparen, worunter schlussendlich auch die Qualität der Forschung profitieren sollte. Aber macht es das? Die bereits erwähnten Zitate zeichnen hier ein anderes Bild.

Nun stellt sich die Frage, wieso ist das so? Wir können natürlich einwerfen, dass es ebenso genügend Beispiele für eine qualitativ hochwertige Arbeit mit Software gibt. Und diese gibt es tatsächlich. Anscheinend unterscheidet sich jedoch die Nutzung von Software und vielleicht die damit verbundenen Ziele maßgeblich von Nutzer zu Nutzer. Dabei sollte doch das Ziel klar sein: qualitativ hochwertige qualitative Forschung zu betreiben. Wieso wird das Ziel dann trotzdem verfehlt?

Software wird überbewertet (klingt total platt, ne). Wie anfangs erwähnt, ist Software nur ein Werkzeug. Es soll helfen und es soll das Arbeiten vereinfachen und nicht gänzlich ersetzen. Wie eingangs erwähnt, erzeugt sie dadurch die Illusion, uns das denken abnehmen zu können. Und genauso wie das Aufkommen der digitalen Fotografie aus ganz vielen lieben einfachen Menschen plötzlich Hobbyfotografen machte, die weit davon entfernt sind, die große Kunst der Fotografie verstanden zu haben – genauso machte das Aufkommen qualitativer Datenanalysesoftware (CAQDAS) aus vielen lieben einfachen Wissenschaftlern plötzlich qualitativ Forschende, denen Interviews und deren Auswertung plötzlich als das Allheilmittel erschienen (ja ja, der Gedanke ist hier geklaut, allerdings beschäftigte uns das Thema schon seit langem, wirklich!). Das Ergebnis daraus sind weder großartige Fotos noch bahnbrechende qualitative Analysen. Ohne die Methodik oder Technik dahinter verstehen zu lernen, wird das leider auch so bleiben.

Dass die Informatik und damit auch Software generell im Interesse der Soziologie bzw. der Soziologen steht, wurde vom Sozioblogen vor kurzem ebenfalls bekräftigt. Was uns dabei am Herzen liegt (und um diesen Artikel endlich mal abzuschließen, sonst sind unsere Äußerungen doch immer recht knapp) ist folgendes: Software und Technik allgemein ist ein Hilfsmittel. Dieses sollte dosiert dort eingesetzt werden, wo es wirklich Nutzen schafft. Software kann zwar auch helfen, in der sozialwissenschaftlichen Forschung Zeit zu sparen, primär sollte es aber darum gehen, qualitativ hochwertigere Ergebnisse zu produzieren. Schielt der Forscher allzu sehr auf die Zeitersparnisse, wird mit Sicherheit eines darunter leiden, die Qualität. Und dann kommt es zu den erwähnten Potjomkinschen Dörfern. Und wie damals der russischen Zarin bzw. Russland so ist auch heute in den Sozialwissenschaften damit niemandem geholfen.

(Achso, wir vergaßen zu erwähnen: wem der Titel seltsam vertraut vorkommt und dabei an so etwas denkt, liegt leicht verkehrt.)

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